
Februar 2016: Die Woche begann erfrischend – mit einem Anruf aus Berlin. Man möge aufgrund einer aktuellen Studie aus Bayern doch bitte ins SAT1 Frühstücksfernsehen kommen, um über die Vor- und Nachteile des Stadt- und Landlebens zu diskutieren. Die Studie besagt, dass es für gut ein Viertel der bayerischen Landbevölkerung keine Nahversorgung mit Arzt, Apotheker, Supermarkt oder Schule in einem Umkreis von einem Kilometer gibt. Dennoch ziehe es viele Stadtbewohner aufs Land, um der Hektik der Großstadt zu entfliehen.
Dass die Flucht von der Stadt aufs Land größer ist als umgekehrt, wage ich zu bezweifeln. Erst ein Jahr zuvor berichtete der SPIEGEL in einer großen Serie von der zunehmenden Verödung vieler Dörfer. Andererseits vernehme ich gerade in meiner Region einen starken Expansionsdrang der Städte. Dieser könnte in nicht allzu ferner Zukunft dazu führen, dass viele Dörfer, darunter auch das Dorf, in dem ich wohne, Teil eines urbanen Konglomerats werden.
Schon allein deshalb ist die Frage, wo es sich nun besser leben lässt, auf dem Land oder in der Stadt, nicht einfach zu beantworten. Dorf ist nicht gleich Dorf, und Stadt ist nicht gleich Stadt, und ganz egal, für welches Leben man sich entscheidet: Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wenn man auf dem Lande im Sommer den Grill auf die Terrasse schiebt, kommen nicht nur die Marienkäfer und Glühwürmchen aus ihren Verstecken geflogen, sondern auch die Wespen, Mücken und grünlich schimmernden Scheißhausfliegen. Auf der anderen Seite kann die Anonymität einer Großstadt sowohl Segen als auch Fluch sein.
Hinzu kommt die Verschiedenheit der Menschen. Wir alle haben unterschiedliche Vorlieben, Bedürfnisse und Lebensumstände. Jeder hat seine eigene Herkunft, seine eigene Lebensgeschichte und ist unterschiedlich stark von ihr geprägt. Außerdem durchlaufen wir verschiedene Lebensphasen, von der Pubertät, in der die Welt für uns oft nicht groß genug sein kann, bis hin zum Rentenalter, wenn wir uns, ob wir es wollen oder nicht, verstärkt mit Begriffen wie Mobilität oder auch Einsamkeit auseinandersetzen müssen.
Kurz: Was dem einen zu einer bestimmten Zeit gut bekommt, kann für den anderen in einer instabilen Lebensphase fatale Folgen haben. Daher muss jeder seine eigenen Wünsche, Probleme, Ziele und Möglichkeiten in Augenschein nehmen, seine Biographie gründlich durchleuchten, um herauszufinden, wo er sich besser aufgehoben fühlt, auf dem Lande oder in der Stadt.
Ich selbst bevorzuge als Ausgangspunkt bewusst die Ruhe des Landlebens, brauche aber eben auch die Stadt mit ihren vielfältigen kulturellen Angeboten. Beides muss für mich relativ schnell verfügbar sein. Deshalb wohne ich auf einem Dorf – unweit der Stadt. Ich brauche nur wenige Minuten, um die Vorzüge urbanen Lebens genießen zu können, kann mich aber jederzeit in mein grünes Refugium zurückziehen. Dieses duale System ist natürlich auch umgekehrt möglich, allerdings nicht ganz so einfach und preiswert zu organisieren.
Unser spontaner Ausflug nach Berlin hat mich in dieser Sichtweise einmal mehr bestätigt. Am Vorabend unseres TV-Auftritts saßen mein Autorenkollege Karsten Weyershausen und ich mit unserer Lektorin in einem interessanten vietnamesischen Restaurant mit ausschließlich vegetarischen Spezialitäten. Nach etwas Vergleichbarem wird man in Braunschweig, immerhin 250.000 Einwohner, lange und wahrscheinlich ergebnislos suchen. Spektakulär war das Hotel, das man für uns gebucht hatte. Extravagant. Stilvoll beleuchtet und eingerichtet. Direkt an der Spree. Sehr schön, keine Frage. Andererseits ging mir der Trubel auf den Wegen vom Ostbahnhof zum Hotel (zwischen den Fans der Eisbären Berlin) und später quer durch Friedrichshain gehörig auf den Keks. Ein paar Abende kann ich das gut ertragen, rund um die Uhr nicht. Aber wie gesagt: Ich kann hier nur für mich sprechen, nicht für alle, und ich will auch nicht ausschließen, dass sich meine Lebensumstände eines Tages grundlegend ändern und es mich wieder dauerhaft in die Stadt zieht.
Unser Auftritt im SAT1 Frühstücksfernsehen war an eine Umfrage gekoppelt, bei der die Zuschauer während der Sendung zwischen Stadt- und Landleben entscheiden sollten. Von uns Autoren wurde gewünscht, dass wir uns als Entscheidungshilfe eine Battle liefern, also klar Position für oder gegen das Land bzw. die Stadt beziehen sollen. Diesem Wunsch haben wir uns am Ende, so gut wir konnten, gebeugt, weil wir das Konzept der netten Redaktion nicht über den Haufen werfen wollten und das Format sowie die wenigen Minuten Redezeit ohnehin wenig Raum für tiefgehende Analysen ließen.
Richtig ist ein solches Schwarz-Weiß-Denken natürlich nicht. Und so überrascht es auch kaum, dass sich hinterher einige Zuschauer auf der Facebookseite von SAT1 über unsere jeweils eindimensionale Sichtweise beschwerten. Ich mag Motzhupen vor der Glotze nicht, wenngleich ich selbst lange Zeit eine war. In diesem Fall aber war die Kritik berechtigt. Möglicherweise war unsere Battle wohl auch deshalb nicht so überzeugend, weil wir uns mit dem gewünschten Rollenspiel schwertaten. In unserem Buch »Stadt. Land. Flucht. Kuhmist oder Kohlenmonoxyd« gehen wir das Thema jedenfalls wesentlich differenzierter an, wie unter anderem eine schöne und treffende Besprechung auf dem Lifestyle-Portal der Rheinischen Post belegt.
Sei’s drum. Es war ein netter Ausflug nach Berlin, eine nette Erfahrung, es hat Spaß gemacht, und als das Ergebnis der TV-Abstimmung ein letztes Mal eingeblendet wurde, hatte sich das Land mit 60 zu 40 gegen die Stadt durchgesetzt, also ein knapper Sieg für Reichard gegen Weyershausen. Ich kann nicht ganz unzufrieden sein.
Dass die Flucht von der Stadt aufs Land größer ist als umgekehrt, wage ich zu bezweifeln. Erst ein Jahr zuvor berichtete der SPIEGEL in einer großen Serie von der zunehmenden Verödung vieler Dörfer. Andererseits vernehme ich gerade in meiner Region einen starken Expansionsdrang der Städte. Dieser könnte in nicht allzu ferner Zukunft dazu führen, dass viele Dörfer, darunter auch das Dorf, in dem ich wohne, Teil eines urbanen Konglomerats werden.
Schon allein deshalb ist die Frage, wo es sich nun besser leben lässt, auf dem Land oder in der Stadt, nicht einfach zu beantworten. Dorf ist nicht gleich Dorf, und Stadt ist nicht gleich Stadt, und ganz egal, für welches Leben man sich entscheidet: Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wenn man auf dem Lande im Sommer den Grill auf die Terrasse schiebt, kommen nicht nur die Marienkäfer und Glühwürmchen aus ihren Verstecken geflogen, sondern auch die Wespen, Mücken und grünlich schimmernden Scheißhausfliegen. Auf der anderen Seite kann die Anonymität einer Großstadt sowohl Segen als auch Fluch sein.
Hinzu kommt die Verschiedenheit der Menschen. Wir alle haben unterschiedliche Vorlieben, Bedürfnisse und Lebensumstände. Jeder hat seine eigene Herkunft, seine eigene Lebensgeschichte und ist unterschiedlich stark von ihr geprägt. Außerdem durchlaufen wir verschiedene Lebensphasen, von der Pubertät, in der die Welt für uns oft nicht groß genug sein kann, bis hin zum Rentenalter, wenn wir uns, ob wir es wollen oder nicht, verstärkt mit Begriffen wie Mobilität oder auch Einsamkeit auseinandersetzen müssen.
Kurz: Was dem einen zu einer bestimmten Zeit gut bekommt, kann für den anderen in einer instabilen Lebensphase fatale Folgen haben. Daher muss jeder seine eigenen Wünsche, Probleme, Ziele und Möglichkeiten in Augenschein nehmen, seine Biographie gründlich durchleuchten, um herauszufinden, wo er sich besser aufgehoben fühlt, auf dem Lande oder in der Stadt.
Ich selbst bevorzuge als Ausgangspunkt bewusst die Ruhe des Landlebens, brauche aber eben auch die Stadt mit ihren vielfältigen kulturellen Angeboten. Beides muss für mich relativ schnell verfügbar sein. Deshalb wohne ich auf einem Dorf – unweit der Stadt. Ich brauche nur wenige Minuten, um die Vorzüge urbanen Lebens genießen zu können, kann mich aber jederzeit in mein grünes Refugium zurückziehen. Dieses duale System ist natürlich auch umgekehrt möglich, allerdings nicht ganz so einfach und preiswert zu organisieren.
Unser spontaner Ausflug nach Berlin hat mich in dieser Sichtweise einmal mehr bestätigt. Am Vorabend unseres TV-Auftritts saßen mein Autorenkollege Karsten Weyershausen und ich mit unserer Lektorin in einem interessanten vietnamesischen Restaurant mit ausschließlich vegetarischen Spezialitäten. Nach etwas Vergleichbarem wird man in Braunschweig, immerhin 250.000 Einwohner, lange und wahrscheinlich ergebnislos suchen. Spektakulär war das Hotel, das man für uns gebucht hatte. Extravagant. Stilvoll beleuchtet und eingerichtet. Direkt an der Spree. Sehr schön, keine Frage. Andererseits ging mir der Trubel auf den Wegen vom Ostbahnhof zum Hotel (zwischen den Fans der Eisbären Berlin) und später quer durch Friedrichshain gehörig auf den Keks. Ein paar Abende kann ich das gut ertragen, rund um die Uhr nicht. Aber wie gesagt: Ich kann hier nur für mich sprechen, nicht für alle, und ich will auch nicht ausschließen, dass sich meine Lebensumstände eines Tages grundlegend ändern und es mich wieder dauerhaft in die Stadt zieht.
Unser Auftritt im SAT1 Frühstücksfernsehen war an eine Umfrage gekoppelt, bei der die Zuschauer während der Sendung zwischen Stadt- und Landleben entscheiden sollten. Von uns Autoren wurde gewünscht, dass wir uns als Entscheidungshilfe eine Battle liefern, also klar Position für oder gegen das Land bzw. die Stadt beziehen sollen. Diesem Wunsch haben wir uns am Ende, so gut wir konnten, gebeugt, weil wir das Konzept der netten Redaktion nicht über den Haufen werfen wollten und das Format sowie die wenigen Minuten Redezeit ohnehin wenig Raum für tiefgehende Analysen ließen.
Richtig ist ein solches Schwarz-Weiß-Denken natürlich nicht. Und so überrascht es auch kaum, dass sich hinterher einige Zuschauer auf der Facebookseite von SAT1 über unsere jeweils eindimensionale Sichtweise beschwerten. Ich mag Motzhupen vor der Glotze nicht, wenngleich ich selbst lange Zeit eine war. In diesem Fall aber war die Kritik berechtigt. Möglicherweise war unsere Battle wohl auch deshalb nicht so überzeugend, weil wir uns mit dem gewünschten Rollenspiel schwertaten. In unserem Buch »Stadt. Land. Flucht. Kuhmist oder Kohlenmonoxyd« gehen wir das Thema jedenfalls wesentlich differenzierter an, wie unter anderem eine schöne und treffende Besprechung auf dem Lifestyle-Portal der Rheinischen Post belegt.
Sei’s drum. Es war ein netter Ausflug nach Berlin, eine nette Erfahrung, es hat Spaß gemacht, und als das Ergebnis der TV-Abstimmung ein letztes Mal eingeblendet wurde, hatte sich das Land mit 60 zu 40 gegen die Stadt durchgesetzt, also ein knapper Sieg für Reichard gegen Weyershausen. Ich kann nicht ganz unzufrieden sein.